Der Begriff "Aphoristik" leitet sich aus dem Griechischen her (aphorizein - bestimmen, eingrenzen). Ursprünglich war er ein medizinischer Erfahrungssatz aus dem Corpus Hippocraticum des Hippokrates. Die literarisch-philosophische Gattung entwickelte sich erst später, vor allem durch die französischen Moralisten des 17. und 18. Jahrhunderts und danach durch Aphoristiker des deutschen Sprachraums. Genannt seien dazu u. a. Goethe, Jean Paul, Friedrich Schlegel, Novalis, Schopenhauer, Nietzsche und Karl Kraus, aber auch die Engländer Oscar Wilde und Bernard Shaw sowie polnische Aphoristiker, wie z. B. der brillante politische Ironiker Stanislaw Jercy Lec.

Erst im frühen 20.Jahrhundert wurde die Aphoristik als eigenständige Prosagattung anerkannt und erforscht. Aber noch heute ist sie eine widersprüchliche Textform, weder der Literatur noch der Philosophie eindeutig zugeordnet.

Inhaltlich ist die Aphoristik weit gespannt und umfasst Themen der Moral, Philosophie, Psychologie, Ästhetik, Politik, Sprache und Lebenskunst. Stilistisch changiert sie zwischen definitorischen, philosophisch-reflektierenden, ironisch-grundierten, poetisch-getönten und paradoxen Aussagen, ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit, auffordernd zur Zustimmung oder zum Wuderspruch, immer aber zum Weiterdenken.

Das formale Kennzeichen des Aphorismus ist die hochverdichtete Form, die Lakonie der Sprache. "Ein guter Aphorismus ist die Weisheit eines ganzen Buches in einem Satz" (Theodor Fontane). Und Jean Paul hat einmal gesagt: Sprachkürze gibt Denkweite" Oft bestehen Aphorismen nur aus einem Satz, sie können aber auch mehrere kurze Sätze umfassen. Eine klar definierte Obergrenze gibt es nicht, und der Übergang zum großen Bruder, zum Essay, ist fließend. Immer aber soll er einen Denkanstoß enthalten. Nur scheinbar kommt der Aphorismus denen entgegen, die keine Zeit haben.